Warum mit Tieren arbeiten

Der junge Mensch braucht Seinesgleichen
- nämlich Tiere, überhaupt Elementares, Wasser, Dreck, Gebüsch, Spielraum.
Man kann ihn auch ohne das alles aufwachsen lassen,
mit Teppichen, Stofftieren oder auch auf asphaltierten Straßen und Höfen.
Er überlebt es, doch man soll sich dann nicht wundern, wenn er später bestimmte soziale
Grundleistungen nie mehr erlernt.

Alexander Mitscherlich

Wissenschaftliche Untersuchungen dokumentieren eindrucksvoll die positiven Auswirkungen, die das Zusammenleben mit Tieren auf das Wohlbefinden, die persönliche Entwicklung und die Lebensqualität von Menschen haben kann.

Tiere als Therapiehelfer können auf keinen Fall eine komplette Therapie übernehmen oder ersetzen, aber sie können wichtige Funktionen übernehmen, die in der Gesamtheit den Therapieverlauf positiv beeinflussen!

Tiere sind in ihrem Verhalten weitestgehend konstant und verlässlich. Sowohl ihre Handlungen als auch ihre Gefühle sind eindeutig, direkt und authentisch. Ihre Empfindungen sind an ihrer Körpersprache, also am Körper, an den Bewegungen und am Verhalten abzulesen. Da Tiere nicht lügen oder sich verstellen, kann man an ihnen eine kongruente (= stimmige) verbale und nonverbale Kommunikation beobachten. Darüber hinaus urteilen Tiere nicht über Andersartigkeit oder haben Vorurteile, sie nehmen den Menschen an wie er ist, mit all seinen Stärken und Schwächen, also z.B. auch mit persönlichen Behinderungen. Durch den Kontakt mit Tieren und ihre Reaktionen auf menschliches Handeln werden eigene, möglicherweise auch bisher unbekannte Seiten des Selbst sichtbar. So wird ein Kamel einem souverän auftretendem Menschen gerne folgen, bei einem ängstlichen Partner aber nur vorsichtig vorwärts gehen oder vielleicht sicherheitshalber sogar ganz stehen bleiben. Das Kamel spiegelt die Aktion des Menschen also unmittelbar in seiner Reaktion.

Da Altweltkamele in der freien Wildbahn keine natürlichen Feinde haben, entwickelten sie sich NICHT zu klassischen Fluchttieren. Das bedeutet, dass sie in Gefahrensituationen im Gegensatz zum Fluchttier Pferd nicht „kopflos“ davon rennen, sondern eher stoisch stehen bleiben. Sie weichen dem Stressfaktor nicht automatisch aus; die wahrscheinlichere Reaktion ist die, dass sie sich ablegen und warten, was passiert. Das bedeutet für die Arbeit mit den Kamelen, dass sie enormes Vertrauen zu dem Menschen brauchen, der mit ihnen arbeitet, und außerdem immer mal wieder überzeugt werden möchten. Das fordert und fördert von allen Beteiligten unter Umständen Geduld. Genau diese Eigenschaft ist ideal, um mit verhaltensauffälligen und hyperaktiven Kindern zu arbeiten. Dabei zeigt das Tier als Co-Therapeut den Kindern deutlich Grenzen und Regeln im Miteinander auf. So kann sich ein Kamel völlig entspannt zum Putzen ablegen und genießen, wird es aber nicht nett behandelt, steht es auch wieder auf und geht. Dies geschieht jedoch nicht durch aggressives Verhalten von Seiten der Kamele, sondern durch unmissverständliche Körpersprache. Angefangen vom Spiel der Ohren über Drohlaute hin zum selten vorkommenden, aber eindeutigem Aufzeigen der überschrittenen Toleranzgrenze: Spucken.

Ein weiterer positiver Einfluss der Kamele, speziell der Trampeltiere, ist der „Kuscheltier-Faktor“. Mit ihrem dicken Winterfell laden sie zu „übermäßigem“ Kuschelkontakt und somit zu psychomotorischen Sinneswahrnehmungen ein, wobei aber auch das spärliche Sommerfell natürliche und neue Sinnesreize bietet.

Pferde gibt es in allen Farben und Größen, vom Shetty bis zum Kaltblut, vom Schimmel bis zum bunten Zirkuspferd. Somit kann für jeden das passende Pferd gefunden werden. Über die eigenen Vorlieben hinaus passen die Bewegungsabläufe eines kleinen Ponys natürlich besser zu denen eines kleinen Reiters, ebenso bei großen Pferden und größeren Reitern, was letztendlich auch der Sicherheit dienlich ist. Hinzu kommt, dass Pferde unterschiedliche Gangarten mitbringen, die differenziert eingesetzt werden können. So liegt beim Schritt der Schwerpunkt auf dem Getragen werden, Wärme spüren, kuscheln, sich angenommen fühlen. Im Trab werden viele Sinne des Menschen angeregt, so fangen viele Kinder an zu lautieren und werden aufgeweckt, gleichzeitig müssen sie sich konzentrieren, denn der Trab ist die am schwierigsten zu sitzende Gangart. Im Galopp schließlich wird viel Energie freigesetzt, der Reiter spürt die Kraft des Pferdes und fühlt sich selber regelrecht beschwingt.

Durch die Reaktionen von Pferden auf Neues und Unbekanntes erleben die Kinder ein weiteres Verhaltensschema zu dem der Kamele kennen. Neugierde aber auch der Fluchtinstinkt sind pferdetypische Verhaltensweisen die es kennen zu lernen und zu deuten gilt. Weiß man, wieso das Pferd Angst hat, kann man mit der Situation besser umgehen, dem Pferd Sicherheit vermitteln und so die Lage meistern. Man selbst muss Vertrauen und Sicherheit gewinnen, um dies dem Tier vermitteln zu können. Ein Lernprozess sowohl für Kinder als auch für Erwachsene.

Esel, besonders Haus- oder Zwergesel, eignen sich auch bereits für kleine Kinder und Menschen, die sich vor dem Umgang mit größeren Tieren fürchten. So kann in kleinen Schritten die Kontaktaufnahme mit Vierbeinern gelernt und das Selbstvertrauen gestärkt werden. Ferner haben Esel einen ganz eigenen Charme. Die großen Ohren, die meist farblich abgesetzten Augen mit ihrem Kontrast – das ganze Gesicht hat ähnliche Auswirkungen wie das Kindchenschema – man kann sich kaum ihrem Reiz entziehen. Die Langohren sind gesellige und ideenreiche Tiere und bringen dadurch viel Freude in unterschiedliche Lebenssituationen.

Durch den Umgang mit den Eseln kann man sich eine eigene Meinung bilden zum berühmt-berüchtigten Dickkopf und der falsch verstandenen Sturheit der Grautiere. Ihre eigene Art des Arbeitseinsatzes, ihr spezielles Verhalten hinsichtlich ihrer Klugheit, Besonnenheit und Beharrlichkeit benötigen ein Umdenken beim Mensch. Mit Druck funktioniert bei Eseln gar nichts und so wird man gezwungen, neue Wege und Denkansätze zu suchen. Klarheit und Geduld sind für die Arbeit mit Eseln von Nöten! Hier zeigen die „Zwerge” ein sehr „kameliges” Verhalten!

Esel sind nicht stur, sondern meinungsstabil!

Die mögliche Vielfalt in der Arbeit mit den unterschiedlichen Vierbeinern ist eine große Bereicherung, da sich die Eigenarten der Tiere und ihre (art-)typischen Verhaltensweisen dahingehend sinnvoll ergänzen, dass „Mensch” viele Facetten von Individuen kennen lernt und darauf reagiert.

Durch das Kennenlernen der Esel, Kamele und Pferde und den wechselnden Umgang mit den verschiedenen Tieren erfahren Kinder und Erwachsene, dass es verschiedene Verhaltensmuster gibt, wie man sie deutet und dass diese, zum Teil angeborenen Schemata, auch trainierbar und abänderbar sind. Sowohl die einzelnen Tierarten, aber auch die Tiere als solche reagieren unterschiedlich bzw. haben unterschiedlich entwickelte Eigenarten und Vorlieben! In der Arbeit mit ihnen ist deshalb das Thema Vertrauen ein sehr wichtiger Faktor!

Ein abgelegtes Kamel, welches mit einem Mensch auf fast gleicher Augenhöhe ist, vermittelt beim Putzen des Tieres eine andere Nähe und Sicherheit als ein stehendes Tier (Pferd oder Kamel), da – speziell Kleinkinder – in der Regel nur die Beine sehen und nicht viel mehr. Die in dieser Situation gewonnene Sicherheit und das Vertrauen in die Tiere werden mitgenommen zu anderen Aufgaben und Situationen. Wenn 600 kg Kamel friedlich und entspannt zu den eigenen Füßen liegen und sich putzen lassen, wieso sollte dann das stehende, über 2 Meter große Tier nun plötzlich nicht mehr sanftmütig sein?

Für das Reiten kann eine Kombination mit Pferd und Kamel eine ausgezeichnete Ergänzung darstellen. Das Absichern auf einem Pony oder Kleinpferd ist bei einem Reitneuling, der ggf. krankheitsbedingt über kaum Gleichgewicht oder einen schwachen Muskeltonus verfügt, einfacher als auf einem Kamel. Nach mehreren Einheiten auf dem Pferderücken kann man dann „umsatteln“ und die zuvor gewonnenen Erfahrungen mit neuen Eindrücken des nun veränderten Bewegungsmusters auf dem Kamelrücken erweitern.

Durch den Kontakt mit den unterschiedlichen Tieren lernt man verschiedene Lernaspekte und Verhaltensmuster der unterschiedlichen Arten kennen und bestenfalls deuten. Die Sinneswahrnehmung der Esel ist beispielsweise eine andere als die der Pferde. Der Einsatz der Körpersprache und Mimik zwischen Pferd, Esel und Kamel ist sehr differenziert zu betrachten. Durch Beobachtung der Tiere vor Ort kann man so seine Sinneswahrnehmung stärken und ausbauen. Auch der Oppositions-Reflex der Langohren, eine instinktive Reaktion von Eseln mit Gegendruck zu reagieren, führt dazu, dass man immer wieder sein Verhalten überdenken und gegebenenfalls in Frage stellen muss, um zum Ziel zu kommen.

Bei uns steht nicht der reiterliche Aspekt im Mittelpunkt, sondern das harmonische Miteinander von Mensch und Tier!